
Halt geben, wenn die Welt zerbricht - Interview mit Trauerbegleiterin Ulrike Schmidt Bommas
von Jana Strahl
Trauer ist ein Weg, den niemand freiwillig geht – und doch müssen viele Familien ihn beschreiten. Wenn ein Elternteil stirbt, verändert sich das Leben von heute auf morgen. Für Kinder bedeutet dieser Verlust nicht nur den Abschied von einem geliebten Menschen, sondern auch eine tiefe Verunsicherung: Wer ist jetzt für mich da? Darf ich noch fröhlich sein, obwohl ich traurig bin? Und wie gehe ich mit all den widersprüchlichen Gefühlen um, die mich überwältigen?
Eltern, die in dieser Situation zurückbleiben, stehen vor einer doppelten Herausforderung. Sie tragen ihre eigene Trauer und gleichzeitig die Verantwortung, den Kindern Halt, Orientierung und Geborgenheit zu geben. Gerade Alleinerziehende fühlen sich dabei oft zerrissen zwischen dem Wunsch, stark zu sein, und dem Bedürfnis, selbst Trost zu finden.
Im Gespräch mit der Trauerbegleiterin Ulrike Schmidt-Bommas wird deutlich, wie wichtig es ist, Kindern Raum für ihre Gefühle zu lassen und Trauer nicht zu einem Tabuthema werden zu lassen. Sie spricht darüber, warum Ehrlichkeit und Offenheit so entscheidend sind, welche Rolle Rituale spielen können und wie Eltern lernen, die Trauer ihrer Kinder nicht „wegzumachen“, sondern gemeinsam mit ihnen auszuhalten.
Ihre Worte berühren, machen Mut und zeigen: Auch in den dunkelsten Zeiten gibt es Wege, Nähe und Vertrauen zu bewahren. Dieses Interview ist eine Einladung, Trauer nicht als Bruch, sondern als Teil des Lebens zu verstehen – und darin die Kraft zu entdecken, als Familie einen neuen, eigenen Weg zu finden.
alleine-erziehen.de-Redakteurin Claudia Lange traf Ulrike Schmidt-Bommas zu einem digitalen Interview:
Wie Kinder den Tod verstehen hängt sehr stark vom Alter und der kognitiven Entwicklung des Kindes ab. Wann hat das Kind ein Zeitverständnis, weiß was gestern, heute und morgen bedeutet und kann verstehen, was nie mehr heißt? Wann kann es den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung verstehen, wann begreifen sie, dass Mama und Papa leben, mein Lieblingskuscheltier aber tatsächlich nicht?
Der Tod ist für Kinder zunächst eher die Abwesenheit des Verstorbenen. Abwesenheit ist jedoch etwas, was sie vielleicht schon kennen gelernt haben. Und wer weg ist, kommt auch wieder.
D.h. obwohl Kinder kognitiv noch nicht in der Lage sind, den Tod zu verstehen, so erleben sie ihn doch sehr intensiv durch die Reaktionen der Erwachsenen. Sie spüren, dass sich etwas sehr verändert, das Leben nicht mehr so ist, wie es war. Vertrautes, Sicherheit Gebendes und Erlerntes fällt weg. Das kann sehr verunsichern.
Kinder brauchen Antworten. Kinder brauchen Erklärungen. Kinder brauchen Abschiede. Kinder sollen sich nicht allein gelassen fühlen. Kinder brauchen die Wahrheit Geduld, auch wenn es anstrengend ist. Kinder müssen das Vertrauen in das Leben erst wieder lernen – so wie Sie wahrscheinlich auch.
Ja, das ist ein Teil der Trauer – das ist Trauer. Trauern heißt nicht nur traurig sein. Trauer umfasst alle Emotionen. Vom traurig sein, zum sich einsam und verlassen fühlen, über unbändige Wut und nackte Verzweiflung bis zum selbstvergessenen Spielen. Die Gefühle kommen oft plötzlich, ein schönes Bild dafür ist die Trauerpfütze, in die das Kind hineinspringt und sich vollkommen hineinbegibt, um kurze Zeit später wieder herauszuspringen und das Leben weiterzuleben. Kinder holen sich Kraft in den Momenten, in denen es ihnen gut geht, um die Momente in den Trauerpfützen aushalten zu können. Sie schaffen es, Trauerpausen einzulegen – das ist für Erwachsene kaum denkbar.
Indem ich selbst offen und ehrlich bin. Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn Kinder sehen, dass auch Erwachsene Gefühle zeigen, Fragen haben, sich Hilfe suchen, können sie sehen, dass Trauer nichts ist, was man alleine durchstehen muss. Und dass Trauer eben kein Tabuthema ist.

In einer Videokonferenz sprach Redakteurin Claudia Lange mit Trauerbegleiterin Ulrike Schmidt-Bommas
Hier hilft das Wissen, dass Trauer immer unterschiedlich ist. Jeder Mensch, jedes Kind trauert anders. Und nichts ist besser oder schlechter, richtig oder falsch. So wie die Geschwister immer schon verschieden sind und bei Problemen verschieden reagiert haben, verschiedene Lösungsstrategien haben, so unterschiedlich reagieren sie auch in der Trauer. Sprechen Sie darüber. Hilfreich ist das gegenseitige Verstehen und Akzeptieren.
Ein neuer Partner, eine neue Partnerin ist ein erneuter Umbruch in der Familiensituation. Vielleicht hat sich gerade alles „eingespielt“ in einer neuen Normalität. Jetzt heißt es wieder, sich auf Neues, Unbekanntes einzustellen. Geben Sie ihren Kindern die Sicherheit, dass die verstorbene Mama oder der verstorbene Papa immer einen wichtigen Platz in der Familie und im Leben der Kinder haben wird.
Für viele Kinder ist es sehr entlastend, andere Kinder zu treffen, die Ähnliches erlebt haben. Oft sind sie die einzigen Kinder in der Kita, der Schule, im Verein oder im Ort. Aber Kinder wollen sein wie alle anderen. Ein Gruppe zu haben, in der sie das wieder erleben können und beim Spielen und Kreativ sein über ihre Erfahrungen, Gefühle und Fragen reden zu können, ist sehr hilfreich. Doch nicht alle Kinder wollen in eine Gruppe, dann sind Einzelgespräche, die kindgerecht geführt werden und auch eher Kreativ- und Spielstunden sind, hilfreich. Oft gibt es dann auch für die Eltern Gesprächsmöglichkeiten, im Einzelsetting oder in Elterngruppen.
Mittlerweile gibt es im Internet viele Angebote an Trauerchats, oder Trauerforen, die durchaus hilfreich sein können. Es ist dann allerdings darauf zu achten, ob sie von einer Trauerbegleiterin geführt werden oder ein Austausch unter Betroffenen sind. Sie können eine erste Anlaufstelle sein. Oftmals ist jedoch ein persönlicher Austausch noch hilfreicher.
Wie und ob das gelingen kann, hängt natürlich davon ab, welche Angebote es vor Ort gibt.
In manchen Städten gibt es den Young Widow_ers Dinner Club (YWDC). Dabei trifft sich eine Gruppe junger verwitweter Menschen zum gemeinsamen Essen in einem Restaurant und zum Austausch.
Neben einem Verein wie den trauernden Eltern, sind Hospize und Hospizvereine eine gute Anlaufstelle, um sich nach Trauerangeboten zu erkundigen. Immer öfter gibt es qualifizierte Trauerbegleiterinnen (meistens sind es Frauen), die Einzelbegleitungen anbieten. Es gibt auch vielfältige Angebote von Gruppentreffen über die meistens schon auf der Homepage informiert wird. In Mainz bietet das Hospiz z.B. eine Trauergruppe speziell für jung verwitwete Menschen an. Einfach weil es ein Unterschied ist, ob ich einen Partner oder Partnerin nach einem gemeinsamen Leben verliere oder am Anfang eines gemeinsamen Lebens. Es sind die verschiedenen Lebensumstände, die unterschiedliche Fragestellungen aufwerfen und Herausforderungen stellen. Die Gruppe in Mainz beginnt aktuell wieder im September.