Mein persönlicher Weg zu Gott
Alleine Erziehen: Mein persönlicher Weg zu Gott
 © Privat 

Eine Glaubensgeschichte

von Jana Strahl

Werde ich gefragt: „Wo bist du aufgewachsen?“, lautet meine Antwort oft: „Im Osten.“ Warum? Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ebenso könnte sie lauten: „In Magdeburg.“ Fühle ich mich als „Ossi“? Nein, definitiv nicht, ich fühle mich sozusagen gesamtdeutsch und nehme auch andere Menschen so wahr. Bin ich ein Ossi? Ja, auf jeden Fall, denn obwohl ich die meiste Zeit meines Lebens im vereinigten Deutschland lebe, so haben mich meine Kindheit und Jugend in der DDR doch sehr geprägt. Viele kennen die „großen“ Geschichte(n) aus der DDR: von Ul bricht und Honecker, von der Partei und Staatserziehung, von Pionierlagern und FDJ-Fackelzügen. Und natürlich von der friedlichen Revolution, dem Mauerfall und der Rolle der Kirchen(gemeinden) dabei. Aber wie war das so im Kleinen mit der Spiritualität? Mit dem Glauben an Gott und mit der christlichen Lebensgestaltung in der DDR?

In den 1970ern geboren, wuchs ich auf als Tochter einer Kauffrau und eines Kfz-Schlossers, als Arbeiterkind. Meine Eltern, beide noch sehr jung, waren nicht besonders „linientreu“, lehnten sich aber auch nicht in besonderer Weise gegen die politischen Verhältnisse auf. Sie lebten in ihnen und mit ihnen und versuchten, in der Mangelwirtschaft irgendwie ihre kleine Familie zu gestalten. Beide kamen aus konfessionslosen Elternhäusern, doch meine Großeltern unterschieden sich: So wurde meiner Mutter in ihrer Kindheit der Umgang mit einer evangelischen Mitschülerin unter Androhung von Strafe verboten. Sie zu kirchlichen Veranstaltungen oder Gottesdiensten zu begleiten, war ausgeschlossen. Dagegen ermutigten meine Großeltern väterlicherseits ihre Kinder, sich auch mit dem Thema Religion auseinanderzusetzen. Sie vertraten die Ansicht, dass es zu einer guten Allgemeinbildung gehört, auch über die unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen Bescheid zu wissen. Und diese Haltung gaben meine Eltern dann auch an mich weiter – zu Hause.

Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Gesicht

Wer in der DDR aufgewachsen ist, weiß: Es gab einen Unterschied zwischen dem privaten Gesicht und dem in der Öffentlichkeit. Bei uns zu Hause wurde immer rege und offen diskutiert. Der Staat wurde kritisiert, es wurde Westfernsehen geschaut und auch über Gott gesprochen. In der Schule, im Betrieb allerdings, galt es, das für sich zu behalten und das linientreue Gesicht zu zeigen. Leider musste man mitunter auch mal „mit den Wölfen heulen“, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Entstammte man einem katholischen oder evangelischen Elternhaus, musste die Entscheidung getroffen werden, wie die eigene kleine Familie leben wollte. Eine Möglichkeit bestand darin, den eigenen Glauben nur für sich zu leben, sich nach außen aber den gesellschaftlichen Zwängen zu unterwerfen. Was waren das für Zwänge? Politische Erziehung begann in der DDR sehr früh, bereits im Kindergarten. In der Schule wurde sie intensiviert. Quasi selbstverständlich wurden Grundschulkinder zunächst Mitglieder in der „Pionierorganisation Ernst Thälmann“. In der achten Klasse wurde dann zumeist im Klassenverband in die FDJ (Freie Deutsche Jugend) eingetreten. Diese Organisationen sorgten mit Pionier- oder FDJ-Nachmittagen, Freizeitveranstaltungen und Ferienlagern dafür, dass der Staat – über den reinen Schulunterricht hinaus – Einfluss auf die politische Bildung der Kinder und Jugendlichen nehmen konnte.

Pioniere und FDJler waren optisch sehr gut zu unterscheiden von jungen Leuten, die weder das eine noch das andere waren: Pioniere trugen ein weißes Hemd mit Halstuch, FDJler trugen ein blaues Hemd. Die Uniformen wurden zu offiziellen Anlässen angezogen, etwa zum regelmäßig stattfindenden Schulappell. Entschieden Eltern also, dass ihr Kind aus konfessionellen Gründen nicht Mitglied werden sollten, war ihnen bewusst, dass ihr Sohn oder ihre Tochter wohl das eine von rund 30 Kindern einer Klasse sein würde, dass dann aus der Menge herausstach. Es konnte sich niemandes Blicken entziehen und nicht selten war es dadurch den verbalen Angriffen der Lehrer:innen und Mitschüler:innen ausgesetzt.

Pioniernachmittage und Gottesdienste

Junge Eltern – insbesondere, wenn nur ein Elternteil christlichen Glaubens war – entschieden sich manchmal, ihren Kindern dies nicht zumuten zu wollen. Und so kam es durchaus vor, dass ein Kind am Pioniernachmittag teilnahm, sonntags aber ganz „normal“ in die Kirche ging. Natürlich gab es auch sehr viele Christ:innen in der DDR, die ihren Glauben offen lebten und deren Kinder diese „Isolation“ von klein auf kannten und damit umzugehen lernten. All dies führte jedoch dazu, dass es eher selten vorkam, dass Menschen auf ihrem Lebensweg erst nach und nach zum christlichen Glauben fanden und dies dann auch offen auslebten.

So ähnlich war das auch bei uns. Kirchgänge zu den christlichen Feiertagen gehörten in unserer Familie irgendwann dazu, gebetet wurde allerdings nicht offen. So durchlief auch ich die „Standardlaufbahn“ eines DDR-Kindes, wurde Pionier und später auch FDJlerin. Glaubte ich an Gott? Heute würde ich sagen, in meinem tiefsten Inneren ja. Ich glaubte daran, dass es für uns mehr gibt, als wir sehen und anfassen können, dass alles irgendwie einer Bestimmung folgt.

Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte es gut sein können, dass ich nie wirklich zum Glauben gefunden hätte. Ein Grund dafür wäre wohl mein langjähriger Berufswunsch gewesen: Ich wollte Lehrerin werden. Als Jugendliche habe ich zwar schnell gemerkt, dass Lehrer:in sein immer auch bedeutete, die politische Doktrin der Partei und Staatsführung zu vermitteln. Doch es gab Fächer, da musste man das mehr und welche, in denen das weniger eine Rolle spielte. Also wollte ich studieren und einmal Deutsch und Englisch unterrichten. Dabei blieb ich auch, als mir von meiner Schulleiterin in Aussicht gestellt wurde, bei einer Entscheidung für Russisch, Geschichte oder Staatsbürgerkunde auf jeden Fall eine Zusage zu bekommen. Dennoch oder vermutlich gerade deshalb war dies kein einfaches Unterfangen.

Das Schulsystem der DDR unterschied zwischen allgemeinbildender polytechnischer Oberschule (POS) bis zur zehnten Klasse und erweiterter Oberschule (EOS) für das zweijährige Abitur ab der elften Klasse. Eine Sonderform war die Berufsausbildung mit Abitur. Diese konnte man nur machen, wenn man von seiner Schule dorthin „delegiert“, also empfohlen wurde. Für diese Empfehlung war die Stellungnahme der Klassenlehrer sowie der FDJ-Leitung zwingend notwendig. Und so wurde auch mir, sollte ich studieren wollen, in der achten Klasse nahegelegt, eine Funktion – jede Schulklasse hatte eine FDJ-Leitung – in dieser zu übernehmen.

Zähneknirschend ließ ich mich also zur stellvertretenden FDJ-Sekretärin wählen. Diese Position schien mir am besten dazu geeignet, einfach „mitlaufen“ zu können. Als ich meiner jugendlichen Tochter davon erzählte, fragte sie: „Aber ist das nicht furchtbar verlogen?!“ Ja, das war es wohl und das war mir auch als 15Jährige bewusst, denn ich fühlte da tatsächlich eine Ambivalenz. Dennoch schien es mir damals ein notwendiges Übel, um den Beruf erlernen zu können, den ich mir so sehr wünschte. Ich wollte ja nicht Lehrerin werden, um die Kinder im Sinne des Staates zu erziehen, sondern weil ich mit Kindern arbeiten und ihnen Wissen vermitteln wollte. Dass das eine wohl nie wirklich ohne das andere gegangen wäre, wurde mir erst als Erwachsene klar.

Gefestigt im Glauben, verbunden mit der Gemeinde

Allerdings stellte sich diese Frage dann nicht mehr, denn es kam ja das Jahr 1989 mit all seinen Ereignissen. Mein Vater und ich gingen oft zu den Friedensgebeten mit Montagsdemonstration. Davon ließen wir uns auch durch Polizeiaufmärsche nicht abhalten. Auch lange nach der Maueröffnung besuchte ich weiterhin Veranstaltungen der katholischen Gemeinde in unserem Stadtgebiet, wodurch sich mein Glaube immer mehr verfestigte.

Nach dem Abitur wollte ich doch erst mal nicht studieren, sondern lernte einen kaufmännischen Beruf und zog mit meinem jetzigen Ehemann zusammen. Als Sohn eines Polizisten in der DDR spielt Gottglaube und Spiritualität für ihn eigentlich keine Rolle, doch er respektierte meinen Glauben von Anfang an. Die Pädagogik ließ mich nie wirklich los und so fand ich doch noch zu ihr. Lebenswege laufen eben nicht immer linear, und manchmal braucht es Umwege, weil dann das Erreichen des Ziels umso schöner ist.

Später zogen wir in einen Stadtteil direkt an eine katholische Kirche und so begann ich, regelmäßig Gottesdienste zu besuchen. Als unsere Tochter dann auf der Welt war, wurde ich dort aktives Mitglied in einem Familienverein und so wuchsen wir auch als Familie immer mehr in diese Gemeinde hinein. Ostern 2002 ließ ich mich als Erwachsene taufen und auch unsere Tochter wurde getauft. Sie wuchs mit Tischgebeten und Kindergottesdiensten auf, besuchte eine katholische Kita und später auch katholische Schulen.

Heute arbeite ich in der Erwachsenenbildung für einen kirchlichen Träger und mein Gott ist noch immer bei mir. Auch wenn ich durch die Pandemie inzwischen seltener in Gottesdienste gehe, ist mein Glaube noch immer so stark wie vorher und ich danke Gott jeden Tag dafür, dass er mich an diesen Punkt geführt hat.


Jana Strahl
ist Referentin in der Familien- und Fortbildungsarbeit und arbeitet im Familienbund im Bistum Magdeburg und im Land Sachsen-Anhalt e.V., Tochter Marie-Christine ist inzwischen erwachsen