Digitales Fachgespräch im Juli
Fehlende Kinderbetreuung - Alleinerziehende unter Druck
von Jana Strahl
Digitales Fachgespräch im Juli 2023
„Ja, ich habe für ca. 6 Monate eine Lösung gefunden, ich fange früher an zu arbeiten und gehe früher. Dafür muss ich einmal im Monat an einem Samstag ein paar Stunden zum Arbeiten kommen. Ich bin sehr froh, dass mein Arbeitgeber das so mitmacht. Sowie habe ich eine coole Familie, die mich da unterstützt.“
Mit dieser Aussage einer alleinerziehenden Mutter aus Leonberg eröffnete das Netzwerk Alleinerziehendenarbeit Baden-Württemberg das digitale Fachgespräch und griff damit die derzeit verschärfte Situation um das Angebot an bedarfsgerechter Kinderbetreuung auf. Immer mehr Kitas reduzieren aufgrund des immensen Fachkräftemangels ihre Öffnungszeiten mit fatalen Folgen für Einelternfamilien. Die alleinerziehende Mutter aus Leonberg war ein Beispiel dafür, wie gemeinsam mit Arbeitgeber und Familie zumindest eine vorübergehende Lösung gefunden werden konnte. Es wurden auch andere Beispiele genannt, bei denen der Arbeitsvertrag aufgrund fehlender Betreuung nicht aufrechterhalten wurde.
Ein bezahlbares, gut funktionierendes Netz aus flexiblen und passgenauen Betreuungsangeboten für Kinder ist wichtig. Es ist der Schlüssel zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch von besonderer Bedeutung für die finanzielle Situation und die Eigenständigkeit der Familien. Die Mehrzahl der Alleinerziehenden will ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften und unabhängiger sein.
Derzeit ist das durch fehlende Kinderbetreuung häufig nicht mehr umzusetzen.
Anlass für das Netzwerk Alleinerziehendenarbeit Baden-Württemberg, die Misere zu beleuchten. Anlass für ca. 50 Teilnehmer*innen, bestehend aus Fachpublikum, Multiplikator*innen bis hin zu Betroffenen hinzuhören und mitzudiskutieren.
Offenburger Modell – Verbesserung der Kinderbetreuung durch Vernetzung
Vorgestellt wurde im ersten Teil des Fachgespräches mit dem „Offenburger Modell“ eine Kommune, die sich ab Sommer 2022 gemeinsam mit verschiedenen Akteur*innen auf den Weg gemacht hatte, nach Lösungen zu suchen. Frau Köllner, Fachbereichsleiterin für Familie, Schulen und Soziales der Stadt Offenburg, berichtete von einem erfolgreichen Prozess und dem Ergebnis einer qualifizierten, stabilen Betreuung in Kooperation mit dem Malteser Hilfsdienst. Seit Mai 2023 werden an drei Pilotstandorten rund 60 Kita-Kinder täglich 7 Stunden durch pädagogische Fachkräfte und im Anschluss daran in einer sogenannten ergänzenden Spielzeit weitere 2 Stunden betreut. Die Spielzeit, die ebenfalls in den Räumen der Kita erfolgt, gewährleisten dafür qualifizierte Mitarbeiter*innen der Malteser. Das Konzept zeige laut Frau Köllner zudem positive Auswirkungen in Sachen Personalpolitik. Neben einer Entlastung allem voran durch ansprechende Arbeitszeiten für Erzieher*innen, die ebenfalls i.d.R. selbst als Eltern unterwegs seien, erfreue man sich an der Zunahme von Bewerbungen. Weitere Standorte für den Ausbau des Modells seien so bereits anvisiert.
Projekt „Rabe“ von IN VIA – ergänzende Kinderbetreuung zu Randzeiten durch Ehrenamtliche
Vorgestellt wurde außerdem durch Ursula Zetzmann vom katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit „IN VIA“ das Projekt RABE. Das ist ein ergänzendes Angebot zu Kindertageseinrichtungen und zur Ganztagsbetreuung an Schulen für Kinder von Alleinerziehenden. Die Betreuung findet in Randzeiten statt - früh morgens, spät nachmittags, abends, am Wochenende und an Feiertagen sowie über Nacht. Sie erfolgt im Umfeld des elterlichen Haushaltes durch ehrenamtliche qualifizierte Betreuer*innen, sogenannte Kinderfeen und Kobolde. Die passgenaue Vermittlung in die Familien, die Qualifizierung der Ehrenamtlichen, Coaching sowie die Begleitung der Alleinerziehenden übernehmen pädagogischen Fachkräfte.
Offene Kinderbetreuung im Eltern-Kind-Zentrum Stuttgart-West e.V.
Ein weiteres Beispiel für innovative Betreuungsmöglichkeit präsentierte Daniela Hettich, Leiterin der offenen Kinderbetreuung des Eltern-Kind-Zentrum Stuttgart-West e.V. Die offene Kinderbetreuung wurde speziell für Eltern konzipiert, die schwierigen Alltagssituationen oder Notsituationen ausgesetzt sind. Das Besondere daran ist, dass sie daher nicht zwingend anmeldepflichtig ist. Eine vorherige Anmeldung erleichtert jedoch die Planung und verhindert, bei Auslastung abgewiesen zu werden. Dies sei ggf. notwendig, um immer eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherzustellen. Ausnahme sind Kinder, deren Eltern in „Partner-Firmen“ arbeiten. Partner-Firmen bezahlen einen Jahresbeitrag und sichern sich dadurch einen Betreuungsplatz für die Kinder ihrer Mitarbeiter*innen. Finanziert wird das Modell durch diesen Jahresbeitrag, sowie eine Förderung durch die Stadt Stuttgart und entsprechende Elternbeiträge.
Rechtsfragen rund um den Anspruch auf Kinderbetreuung
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch die Rechtsanwältin Melanie Füllborn aus der Kanzlei im BigPark in Bietigheim-Bissingen, die in Rechtsfragen häufig von Eltern angefragt wird. Umfassend erläuterte sie, was der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, der seit 2013 gesetzlich verankert ist, beinhaltet und was zu tun ist, um ihn durchzusetzen. Sie ermutigte Eltern, den Weg zu gehen und dieses Recht durchzusetzen. Ihre Erfahrungen zeigten, wer die Sache angehe, lande (bislang auch immer außergerichtlich) bei dem gewünschten Kitaplatz. Bei Sorge vor den entstehenden Kosten verwies sie auf Nachfrage auf den Familienrechtsschutz und bei geringem Einkommen auch explizit auf die Inanspruchnahme eines Beratungsscheines über das Amtsgericht und möglicher Prozesskostenhilfe. Die große Schwierigkeit sei jedoch, dass in der Praxis noch immer zu wenig ihrer Kolleg*innen sich diesem Thema widmeten.
Intensiver Austausch – Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Im zweiten Teil des Fachgespräches konnte in drei Resonanzgruppen noch einmal mit einzelnen Impulsgeberinnen intensiv in den Austausch gegangen und konkrete Fragen geklärt werden.
In der gemeinsamen Abschlussrunde fanden dann unterschiedliche Statements zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf Raum. Angesprochen wurde z.B., dass „echte Wahlfreiheit“ in Sachen Kindererziehung erst dann möglich sei, wenn es ausreichend gute Angebote in Sachen Kinderbetreuung gäbe. Hingewiesen wurde hier auch auf die unterschiedliche Haltung und Handhabung bezogen auf Bundesländer. Einig war man sich darüber, dass wir derzeit Rückschritte erleben und immer noch in den meisten Fällen Mütter die Leidtragenden sind. Forderungen und Wünsche gibt es in Richtung Familienfreundlichkeit von Arbeitgeberseite und einer Politik, die Familien endlich ausreichend wertschätzt und danach handelt.
Das Netzwerk Alleinerziehendenarbeit Baden-Württemberg, das sich aus fünf kirchlichen und nichtkirchlichen Organisationen zusammensetzt, greift bereits seit 2008 mit seinen Veranstaltungen und Projekten wichtige Themen der Ein-Elternfamilien auf. Immer parteilich und aus Sicht Alleinerziehender.
Quelle: Pressemitteilung Edith Lauble (siehe rechts)
für das Netzwerk Alleinerziehendenarbeit Baden-Württemberg
Edith Lauble
Bildungsreferentin im Referat
Ehe-Familie-Diversität
des Bistums Freiburg;
Tätigkeitsschwerpunkt u.a. Alleinerziehendenarbeit
engagiert sich seit vielen Jahren im Netzwerk Alleinerziehendenarbeit Baden-Württemberg politisch für Einelternfamilien