Interview mit Rita Justenhoven-Ockermann, Gemeindereferentin in Neuss

Interview mit Rita Justenhoven-Ockermann, Gemeindereferentin in Neuss.

Wo gibt es Gelegenheiten, die Sie nutzen können, um das Thema Trennung/Scheidung präsent zu machen?

Einmal gibt es öffentliche Foren: wie den Pfarrbrief oder unseren Familienausschuss. Ich achte sehr auf meine Sprache, wenn es um Katechesen geht, um Texte, um Gottesdienstvorlagen, da ist es mir sehr wichtig, immer wieder darauf zu achten, nicht in dieser "heiligen Familie-Sprache" zu sprechen, sondern statt dessen zu sagen Mama oder Papa, Einelternfamilien wirklich zu erwähnen. In Einzelgesprächen kann ich dies bewusst aufgreifen. Eine ganz wichtige Quelle für mich ist, mich als Multiplikatorin zu verstehen, nämlich z. B. in der Katechetenrunde, mit den Frauen oder Männern, die ganz konkret mit diesen Kindern arbeiten. Da ist es uns in den letzten Jahren ganz deutlich geworden, dass wir sehr, sehr achten müssen auf unsere Themen, auf die Geschichten, die wir auswählen, ganz deutlich beim Thema Taufe, wie sprechen wir dann von Eltern, wo kommt das zu Tage, wo steigen dann plötzlich Traurigkeiten auf bei Kindern. Die Katechet/-nnen müssen informiert sein über Einzelfälle und -fragen, damit sie damit leichter und angemessener umgehen können.

Wie wird das Willkommensein in Gemeinde für Kinder und Eltern nach einer Trennung oder Scheidung deutlich spürbar?

Beim Thema Erstkommunionvorbereitung ist es mir ein ganz großes Anliegen, sehr deutlich zu sagen, dass – ich benutze auch dieses Wort – Einelternfamilien uns sehr willkommen sind. Ich greife das Thema auf, wenn es um den Gottesdienstbesuch geht und sage, es ist uns ein großes Anliegen, dass die Kinder regelmäßig in die Kirche kommen, aber es gibt eine ganz wichtige Ausnahmesituation, das ist die Besuchsregelung bei Familien in Trennungssituationen, da geht der "Papa Besuch", der "Papa Kontakt" absolut vor.

Dieser getrennte Elternteil ist uns sehr wichtig: deshalb hat unser Anmeldebogen einen Zusatz: an welche Adresse sollen Informationen auch verschickt werden. Im letzten Jahr bekam eine Mutter, deren Kind beim Vater lebt, zusätzlich diese Informationen.

Ich achte sehr darauf, dass Termine weit im Voraus bekannt gemacht werden, unter dem Aspekt, dass dann der Kontakt zum anderen Elternteil geplant werden kann. Es ist uns einmal passiert, dass beinahe ein Kind nicht zum Kommunionkinderwochenende mitgekonnt hätte, weil es das Besuchswochenende beim Vater war. Wenn sie das ein paar Monate vorher wissen, dann können Vater und Mutter dies leichter regeln.

Beim Kommunionkurs mache ich von Anfang an deutlich, dass wir Rücksicht darauf nehmen, wenn die Finanzen schwierig sind. Dies kann in Trennungssituationen leicht nötig sein. Einzelhilfe kommt immer wieder vor. Dadurch dass ich am Anfang deutlich verschiedene Familiensituationen benenne, erfahre ich auch von Trennungssituationen. So kann ich Familien begleiten, spreche schon vorher mit Familienfrauen oder -männern, kann mit diesen überlegen, wie wird der Erstkommuniontag, wie wird das, wenn der getrennte Partner/die getrennte Partnerin da ist, wie wird das Zuhause. Auch das kann Ängste und Druck nehmen. Ziel ist es, so zu feiern, dass alle gut damit leben können. Es bleibt eine schwierige Sache für viele. Ein Kind wünscht sich ja Mama und Papa bei der Kommunion, wo das nicht sein kann, muss man auch unbedingt den Eindruck vermitteln, dass es auch dann eine schöne Kommunion ist, wenn ein Papa nicht kommt.

Was in einer Gemeinde tut Kindern gut, deren Eltern sich getrennt haben?

Ich glaube das Wichtigste ist Normalität herzustellen. Diese Kinder wollen nicht umhegt, umsorgt oder bemitleidet werden, sondern eigentlich so normal wie andere Kinder behandelt werden. Ich glaube, dass sie es brauchen, dass man normal über ihre Familiensituation spricht, damit sie das Gefühl bekommen, ich muss das jetzt nicht verheimlichen, muss mich dafür nicht schämen. Ich kann also schon nachfragen, wie war es beim Papa und hast du dieses oder jenes so oder so erlebt. Darüber hinaus den Kindern sehr viel Geborgenheit in Gemeinde zu geben, wäre eine ganz wichtige Sache, d. h. gerade diese Kinder brauchen auf jeden Fall den Kontakt zu anderen Kindern in Gruppen, Jugendgruppen, Kinderchor, wo auch immer es möglich ist. Da eingebunden zu sein und das Gefühl zu bekommen, du gehörst dazu. Und dann natürlich der Satz: Wer die Kinder liebt, der hilft den Eltern. Es hilft den Kindern, wenn wir dem Kind den Eindruck vermitteln, dass wir beide Elternteile Wert schätzen. Das Kind muss von uns den Eindruck bekommen, deine Familie ist eine gute Familie und es ist uns auch wichtig, dass du zu beiden Kontakt hast, dass du beide lieb haben darfst. Wenn wir das dem Kind weitergeben könnten, dann würden wir ganz viel unterstützende Arbeit leisten.

Wie kann Gemeinde darüber hinaus die ganze Familie unterstützen?

Sie kann Einzelfallhilfe leisten. Wenn wir davon ausgehen, dass Gemeinde nicht nur Sonntags Gemeinde ist, sondern auch Leben teilt, Alltag teilt, ist Hilfe möglich auch im Kleinsten, ganz einfach der Babysitterdienst oder die Bohrmaschine, die gefragt ist. Ich fände es wichtig für Gemeinde, dass sie in ihrem Bewusstsein diesen verschiedenen Familienformen ohne Urteil gegenübersteht. Das halte ich für eine der wichtigsten Voraussetzungen und natürlich auch, denke ich - da sind wir als Gemeinde auch gefragt -, an professionelle Hilfe weiterzuleiten. Wir müssen nicht alles können.

Etwas, was wir noch gar nicht berücksichtigt haben: mehr als Gemeinde miteinander zu beten, weil das Gebet uns alle entlastet. Wir stellen das Problem nicht nur auf unsere Schultern, wir sind entlastet, weil wir es in einen anderen Kontext stellen und ich denke, so zeigen wir auch ganz deutlich, nicht nur wir schätzen euch wert, sondern ihr werdet wertgeschätzt von einer viel, viel größeren Macht. Und was mir noch mal ganz bewusst wird, die Perspektive heißt: es wird gut, wir können auch wieder froh werden, wir können auch wieder glücklich werden. Und das ist unsere Botschaft, die wir als Kirche vermitteln wollen. In Gottes Händen können wir geborgen sein.

Gibt es biblische Bilder, die besonders hilfreich sind?

Es müssen immer Hoffnungsbilder sein: In unserem Kommunionkurs gibt es seit einigen Jahren immer ein Bild, ein Symbol, das uns begleitet. Im letzten Jahr war das Labyrinth im Mittelpunkt, ein Bild, das allen deutlich macht, dass es nicht immer gerade geht im Leben. In diesem Jahr ist es das Bild von der Hand Gottes, geborgen in Gottes Hand mit dem Satz: Jeder ist so in Gottes Hand gegeben als ob es Gottes einzige Sorge wäre. Bei allem Biblischen muss man sagen, braucht man eigentlich nur auf Jesu Umgang mit Menschen selber zu schauen: Jesus, der mit Ausgegrenzten, mit den Missachteten, mit den Kleinen, mit denen, deren Lebenswege nicht gerade verliefen, umgeht, sie ernst nimmt, sie annimmt. Wenn wir diese Fülle an biblischen Geschichten und Aussagen in diesen Kontext stellen würden, dann würden wir uns gut tun und auch Menschen in Trennungsfamilien? Kindern wie deren Eltern.

Welchen Gewinn haben Gemeinden, die sich für diese Familien öffnen?

Wir gewinnen oder behalten Menschen, wenn sie durch ihre Krise gegangen sind, die bewährt sind, die wissen, wo ihr Lebensstandpunkt ist, und man kann ja vielleicht auch mal sagen, dass diese Menschen oft Organisationstalente sind. Ich glaube auch, dass diese Menschen große Vorbilder sein können für andere in Krisensituationen. Wenn wir diese Menschen unter uns hätten, in unseren Gruppen, Gruppierungen, Gremien, dann hätten wir ganz viel gewonnen, dann könnten wir auch mit anderen Menschen in Krisensituationen sehr viel leichter umgehen.